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Platynereis dumerilii, © Günter Purschke

21.03.2022

Unterschätzte Tiere: Zoologen aus Osnabrück und Vechta erstellen umfassende Übersicht zu Meeresringelwürmern

„Meeresringelwürmer“ ist eine zusammenfassende Bezeichnung für Meerestiere, denen von den meisten Menschen wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Das gilt nicht für Günter Purschke, Markus Böggemann und Wilfried Westheide, drei Zoologen der Universitäten in Osnabrück und Vechta. Sie haben sich zuletzt intensiv mit den Vertretern dieser auch als Vielborster oder Polychäten bezeichneten Gruppe auseinandergesetzt und als Herausgeber und Mitautoren eine vergleichende Übersicht erstellt. Dabei handelt es sich um den vierten und letzten Band einer von diesem Team erarbeiteten Reihe zur Gruppe der Ringelwürmer, die in der Serie „Handbook of Zoology“ erschienen ist.

„Meeresringelwürmer werden – wenn überhaupt – als sich windende, schlängelnde und krümmende Kreaturen wahrgenommen und eher mit negativen Assoziationen wie eklig, hässlich, unangenehm oder anstößig verknüpft“, sagt der Osnabrücker Zoologe Günter Purschke. „Allerdings können sie, wenn man sich näher mit ihnen beschäftigt, in ihrer Biologie sehr interessant und manchmal auch ausgesprochen ästhetisch sein.“

Meeresringelwürmer: Unterschätzte Tiere

Günter Purschke ist seine Begeisterung für die unterschätzten Tiere deutlich anzumerken, wenn er betont: „Einige Arten, wie beispielsweise Platynereis dumeriili (siehe Titelbild), sind sogar als Modellorganismen für viele evolutions-, entwicklungs- und zellbiologische Fragestellungen in der Forschung seit vielen Jahren etabliert. In vielfältiger Weise ergänzen diese unter anderem die bekannten Fruchtfliegen und den Nematoden Caenorhabditis elegans. Es hat sich herausgestellt, dass Platynereis für Vergleiche mit Wirbeltieren, zu denen auch der Mensch gehört, sehr viel besser geeignet ist.“ Darüber hinaus spielten Polychäten in den marinen Nahrungsnetzen und Ökosystemen eine unverzichtbare Rolle – einerseits als Konsumenten, aber auch als Nahrungsquelle für viele andere Meerstiere. „Durch den oft negativen Einfluss der Menschheit auf marine Ökosysteme, etwas verharmlosend auch als ‚global change‘ bezeichnet, sind die Verbreitungsgebiete vieler Arten allerdings dramatischen Veränderungen unterworfen, mit weitreichenden Folgen. Manche Arten werden neu eingeführt und können dann als Aliens in ihrer neuen Heimat zu einer wahren Pest werden, während andere dem Aussterben geweiht sind.“

Mehrbändiges Werk über Ringelwürmer

Bei dem kürzlich veröffentlichten Band über die wasserlebenden Tiere handelt es sich um den vierten und letzten Band einer Übersicht über die gesamte Gruppe der Ringelwürmer oder Annelida. Mehrere Jahre hat Günter Purschke gemeinsam mit Wilfried Westheide (ehemaliger Leiter der Arbeitsgruppe „Spezielle Zoologie“ an der Universität Osnabrück) und Markus Böggemann (Universität Vechta) daran gearbeitet. Es ist die erste umfassende Neubearbeitung seit über 80 Jahren, mit Beiträgen von insgesamt mehr als 60 international renommierten Autor*innen und Spezialist*innen für diese Tiergruppe.

Bemerkenswerte Vielfalt

Obwohl bisher nur etwa 21.000 Ringelwurm-Arten beschrieben worden sind, ist bereits eine bemerkenswerte Diversität in ihrer Biologie, Morphologie und Funktion offenbar geworden. Diese Diversität spiegelt sich in der Plastizität ihres Bauplans wider oder genauer in der Segmentierung ihres Körpers. Darunter versteht man einen Körperbau aus vielen, zunächst gleichartigen, sich wiederholenden Einheiten, den Segmenten.

Die meisten Arten sind von mittlerer Körpergröße und erreichen nur wenige Zentimeter Länge; jedoch ist die Größenspanne viel umfangreicher. So gehören mit weniger als 0,5 mm Länge die kleinsten Tiere überhaupt in diese Gruppe, während die „Riesen“ unter ihnen durchaus 3 m lang werden können. Im Meer kommen sie in jedem Habitat vor, von der Gezeitenzone bis in die größten Tiefen der Tiefsee und an den heißen Tiefseequellen, in allen Böden und schwebend im freien Wasser.

Ringelwürmer nutzen eine extrem große Spanne von Nahrungsquellen. Manche leben in Symbiose mit Bakterien, wieder andere sind Parasiten. Ihre Reproduktionsbiologie zeigt den jeweiligen Lebensweisen entsprechend alle denkbaren Spezialisierungen. Mit Blick auf die Vielfalt innerhalb der Ringelwürmer sagt Purschke abschließend: „Wir Herausgeber sind uns sicher, dass es für jedes denkbare biologische Phänomen auch ein Beispiel aus dieser Tiergruppe gibt“.

Die gesamte Serie „Handbook of Zoology – Annelida“ Band 1-4 ist jetzt vollständig im DeGruyter Verlag erschienen: Handbook of Zoology: Annelida Volume 1-4 (degruyter.com).

Handbook of Zoology, Annelida, Volume 1-4, Titelseiten